Weg mit dem Antisemitenring!

Als kleiner Bub im Wien der 60er Jahre, hörte ich von meinem Großvater oft die Geschichte von Luegers Bürgermeisterkette. Mein Urgroßvater, Ludwig Spritzendorfer arbeitete in der Silberschmiede Alexander Sturm in der Burggasse 85. Dort wurde diese Kette bearbeitet. Ludwig Spritzendorfer soll seinen Namen sowie den Stundenlohn, den er für die Arbeit erhalten hat, in ein Glied der Kette eingraviert haben. Die Geschichte, die mir mein Großvater mit dem entsprechenden Pathos erzählte, beeindruckte mich tief und machte Lueger für mich zum Helden. Erst später entwickelte ich einen differenzierten Blick auf die Person Lueger.

Eine differenzierte Betrachtung ist auch in der aktuellen Debatte, rund um die Umbenennung des Dr.-Karl-Lueger Ringes in Universitätsring, die im Herbst erfolgen wird, notwendig. Ganz besonders in der undifferenzierten Gleichsetzung der historischen Bewertungen der Persönlichkeiten von Karl Lueger und Julius Tandler, die von konservativen Kreisen in die Debatte eingebracht wurde. Um es vorweg zu nehmen: ich halte die Umbenennung für richtig. Sie war längst überfällig. Es gibt, dank des politischen Geschicks Luegers, Gedenken an ihn zur Genüge.

In seinem Aufsatz „Ehe und Bevölkerungspolitik“ von 1924, hat Julius Tandler Sätze formuliert, die heute verstörend wirken. Tandler hat sich als Mediziner und Wissenschafter mit Eugenik beschäftigt – so wie sich heute MedizinerInnen und WissenschafterInnen mit Gentechnik beschäftigen. Der Politiker Tandler hat Euthanasie, mit der er sich als Wissenschafter beschäftigte aber strikt abgelehnt. Im Gegenteil: Tandler hat die hervorragendsten Einrichtungen gerade für die Schwächsten der Gesellschaft geschaffen. „Humanität und Gerechtigkeit befehlen uns, auch für die Alten und Gebrechlichen, für die Siechen und für die Irren zu sorgen.“ schreibt Tandler in seinem Aufsatz „Ehe und Bevölkerungspolitik“. Unter seiner Leitung als Wiener Stadtrat für das Wohlfahrts- und Gesundheitswesen ist die Kindersterblichkeit drastisch gesunken, die „Wiener Krankheit“ (Tuberkulose) praktisch besiegt worden. Sein Fürsorgeprogramm in Wien wird zum Vorzeigemodell für die ganze Welt. Soviel zu Tandler.

Dieser Tage fällt oft das Zitat: „Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“. Abgesehen davon, dass es sich um eine Plattitüde handelt, scheint es in Anbetracht der Diskussion wichtig zu sein, das Gesamtwerk des Politikers, das Vermächtnis zu erfassen. In diesem Punkt unterscheiden sich Lueger und Tandler grundsätzlich. Luegers Errungenschaften für Wien, wie Hochquellwasserleitung, Stadtbahn oder Gasversorgung sind unbestritten. Aber auch seine Parteibuchwirtschaft und seine Wissenschaftsfeindlichkeit sind historische Tatsachen. Lueger war kein Antisemit, er hat den Antisemitismus als Instrument für seinen politischen Erfolg eingesetzt. Lueger hat den Antisemitismus salonfähig gemacht und genährt. Das ging selbst Kaiser Franz Josef zu weit. Drei Mal verweigert er die Bestellung Luegers zum Bürgermeister von Wien. Adolf Hitler beruft sich auf Karl Lueger als einen seiner Wegbereiter und nennt ihn den „gewaltigsten deutschen Bürgermeister aller Zeiten“. Hitler ist Trauergast bei Luegers Begräbnis.

Beide, sowohl Tandler als auch Lueger, sind weit über die Grenzen unseres Landes hinaus berühmt – Tandler als Anatom, Lueger als Antisemit. Punkt.

Es wird wohl so bald in Wien keine weiteren Umbenennungen von Verkehrsflächen geben, die nach politischen Persönlichkeiten benannt sind. Auch ein Antrag auf Umbenennung des Julius-Tandler-Platzes wird keine Mehrheit finden. Es ist wichtig, polarisierende Persönlichkeiten mit Verdiensten im Gedächtnis der Stadt zu bewahren, um Diskussionen wie diese zu ermöglichen. Das Andenken an sie soll bestehen bleiben. Die Debatte darf aber nicht der Vernebelung und Ablenkung dienen, sondern soll einer historischen Wahrheit so nahe wie möglich kommen.

Der für mich bedeutendste Wiener Bürgermeister Karl Seitz, Architekt des „roten Wien“ und erster Staatspräsident der 1. Republik, hat in Wien nicht einmal einen Beserlpark der seinen Namen trägt. Eine der wenigen Erinnerungen an Luegers Kontrahenten Karl Seitz – eine Statute, die im April vor 50 Jahren enthüllt wurde – steht am Dr.-Karl-Lueger-Ring. Ab Herbst wird sein Denkmal am unbenannten Universitätsring stehen. Karl Seitz dankt und die Fangemeinde von Lueger wird mit den verbleibenden 12 Gedenkstätten für ihren „Bürgerkaiser“ wohl auskommen.

One Response to “Weg mit dem Antisemitenring!”

  1. R.W.W. sagt:

    Naja!
    Wenn wir schon bei Plattidüden sind, dann steuere ich bei, den Luegerring heute, 2012, umzubenennen ist in etwa so wie wenn der Papst Hildegard von Bingen (heute, bzw. im Mai 2012) zur Heiligen erklärt…

    Ich zitiere, „Lueger war kein Antisemit“ – Aha!
    Ich zitiere, „Das ging selbst Kaiser Franz Josef zu weit. Drei Mal verweigert er …“ – UND? Wird das irgend etwas an der geifernden Ablehnung allen Habsburgischen durch (Rote &) Grüne ändern? Wir dadurch das FRanz Joseph-Bild irgendeinen differenzierteren Sehschlitz erfahren?
    Ich zitiere weiter, „… Lueger als Antisemit. Punkt.“ – Und genau dieses „Runkt“ ist es, das mir Angst macht. Einmal Hofratswitwe – immer Hofratswitwe, egal wie frei die Gedanken sind. Punkt. Einmal auf Erwin Prölls Landesliste an unwählbarer Stelle – für immer verdammt. Punkt! (Das dritte Beispiel bleibt meines.)

    Einwände eines potentiellen Gegenübers sind – richtig! „Plattidüden“, Gelächter einkalkuliert.
    Ich denke zurück an eine (erfolgreiche) Therapeutin, die ‚ganzheitlich'(Vorsicht, „Plattidüde“) das Annehmen der gesamten Person propagierte und das in dem Satz zusammenfaßte, „ich nehme sie brutto!“
    Nehmen wir unsere Geschichte „brutto“ an, dann braucht es kein „Punkt.“ Schlimm genug dass ich hier Lueger quasi verteidigen muss wider meine Absichten, aber mir fällt da der Satz des Altabts von Melk, Burkhard Ellegast ein, der ihn zum gleichnamigen Buch veranlaßte: „Mach es besser!“ Und zwar heute!

    Lueger nein, Timoschenko ja – politisch motiviert? Mitnichten! Natürlich nicht!
    Schauen wir doch nach vorne und suchen die v o r uns liegenden Herausforderungen anzugehen. „Die Geschichte schreibt der Sieger“ hat für mich als einem, der Kreiskys „lernen sie Geschichte“ sehr gut verstanden und befolgt hat, den schalen Beigeschmack des Mainstreams, der Beliebigkeit, der veröffentlichten Meinung. Da könnte man durchaus auch Hildegard von Bingen zur Heiligen erklären …

  2. Erich Fischer sagt:

    @spritzendorfer

    Ich hab ja schon etliche Abwägungen zu den Verkehrsflächenbenennungen mit dem Tenor Lueger unwürdig, Tandler würdig gelesen, aber die hier ist wohl die einseitigste und in bezug auf Tandler schönfärberischeste. Schon allein Ihre Behauptung „Der Politiker Tandler hat Euthanasie, mit der er sich als Wissenschafter beschäftigte aber strikt abgelehnt“ ist absurd, wo er doch 1924 unmissverständlich formulierte: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, dass 30.000 Vollidioten Deutschlands diesen Staat zwei Millionen Friedensmark kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens im Interesse der Erhaltung lebenswerten Lebens an Aktualität und Bedeutung….Gewiss, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegen sprechen, aber schließlich und endlich wird auch die Idee, dass man unwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewußtsein dringen…“ Für mich ist das ein eindeutig politisches Statement – mit der gleichen Argumentation, die später auch die Nazis für die Umsetzung in die Praxis verwendet haben.

    Hier als kleine Nachhilfe zu einer objektiveren Betrachtung eine ausführliche Zitierung und Beurteilung zahlreicher einschlägiger Wortmeldungen von Julius Tandler durch Herwig Czech, Historiker am Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und Verfasser etlicher Abhandlungen zur „NS-Erb- und Rassenpflege“ http://diezukunft.at/?p=2898 . Herr Czech sieht in seinem Artikel in der sozialdemokratischen Zeitschrift „Zukunft“ Ausgabe 05/2013 Tandler zwar auch wohlwollend durch die rote Brille, unterschlägt aber im Gegensatz zu Ihnen nicht die aus heutiger Sicht horriblen Äußerungen Tandlers, in denen dieser sehr wohl explizit für Eugenik und Euthanasie eintritt. Wenn Herr Czech allerdings nur zu Tandler meint „Ihn als Namensgeber aus der Topographie der Stadt entfernen zu wollen käme daher dem Versuch gleich, ein widerspruchsfreies und geglättetes Bild der Vergangenheit und damit auch unserer Gegenwart herzustellen.“, so sehe ich nicht ein, wieso das nicht auch auf Lueger zutreffen soll.

    Man könnte natürlich endlos weiterdiskutieren, ob die Schattenseiten von Lueger oder Tandler schwerwiegender sind (wobei aber der Eugeniker Julius Tandler bei objektiver Bewertung durch Parteiunabhängige wohl schlechter abschneiden würde, denn Vernichtungsphantasien hatte der Antisemit Lueger immerhin keine), was ich persönlich allerdings für müßig betrachte, da für mich beide bedeutende Persönlichkeiten waren, die für Wien und seine Bevölkerung großartige Verbesserungen geschaffen haben und man beide auch vor dem Hintergrund des damaligen Zeitgeistes sehen und auf ihre ideologischen Fehltritte nicht heutige Maßstäbe anlegen sollte, sondern man meiner bescheidenen Meinung nach bei beiden in erster Linie ihre unbestreitbaren Verdienste um Wien würdigen müßte. Eine Verkehrsflächenbenennung ist schließlich keine Heiligsprechung, notfalls sollten Hinweise auf einer Zusatztafel reichen, würden der Weiterbildung der Jüngeren dienen. Wenn man schon unbedingt etwas umbenennen will, so wäre ich für den Richard-Wagner-Platz – Wagner war ein größerer Antisemit als Lueger und hat für Wien nix geleistet, hier nur Schulden hinterlassen…

  3. Erich Fischer sagt:

    Nachtrag
    Alexander Spritzendorfer rügt:

    „Aber auch seine [Luegers] Parteibuchwirtschaft und…sind historische Tatsachen.“ Bittschön, die Parteibuchwirtschaft gibt’s doch auch unter den roten Bürgermeistern der 2. Republik.
    Mir hat man seinerzeit dringend nahegelegt, zwecks künftiger Karriere beim Magistrat wenn schon nicht der SPÖ, so wenigstens dem BSA (wegen seiner vielen Nazi-Mitglieder scherzhaft auch B-SA – Was macht das B vor der SA? – oder BSS genannt) beizutreten.

    „Karl Seitz, Architekt des „roten Wien“ und erster Staatspräsident der 1. Republik, hat in Wien nicht einmal einen Beserlpark der seinen Namen trägt.“
    Falsch, denn:
    http://www.parkeninwien.at/garage-5-204.html
    http://www.dasrotewien.at/karl-seitz-hof.html

  4. Erich Fischer sagt:

    Wie sagt Otto Waalkes so schön: Einen hab ich noch!

    Ergänzend zu dem heiklen Thema der Euthanasie-Ideologie Julius Tandlers noch ein Artikel des ÖVP-Behindertensprechers Franz-Joseph Huainigg, dessen Lösungsvorschlag, den Julius-Tandler-Platz als Mahn- und Gedenkstätte umzugestalten, ich im Gegensatz zu Verkehrsflächenumbenennungen, die mich an die stalinistische Praxis der Zur-Unperson-Erklärung erinnern, vernünftig finde (Lebensunwertes Leben: Zwangssterilisiert. Gequält. Vernichtet. « DiePresse.com 4.5.2012).
    http://diepresse.com/home/meinung/gastkommentar/754732/Lebensunwertes-Leben_Zwangssterilisiert-Gequaelt-Vernichtet

    Ein derartiges aufklärendes Vorgehen hätte ich auch bei Lueger adäquat gefunden. Und sollte auch bei dem nach dem Ostspion Helmut Zilk, alias „Holec“, http://www.wien-konkret.at/politik/nachruf/helmut-zilk/ benannten Platz stattfinden…

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