Polizeischikanen für Zeitungskolporteur
Vasile ist 24 Jahre jung. Schätzen würde man ihn um knapp 10 Jahre älter. Seit Herbst 2010 steht er bei jedem Wetter und bei jeder Temperatur vor der Billa Filiale in der Skodagasse und verkauft Zeitungen. Er ist rumänischer Staatsbürger. Die Polizei hat Anfang vergangenen Jahres ein paar Mal seine Daten aufgenommen. In letzter Zeit hält die Polizei öfter bei ihm an, kontrolliert ihn. Am 1. März wird er schließlich von zwei Beamten auf die Polizeistation gebracht.
Dort wird Vasile in einen fensterlosen, videoüberwachten Raum im Erdgeschoss gebracht und aufgefordert, sich bis auf die Unterwäsche zu entkleiden. Er hat keine Ahnung, was mit ihm passiert, warum und wie lange er fest gehalten wird. Nach einer halben Stunde alleine in der fensterlosen Zelle, betätigt Vasile in Panik den Notknopf. Eine knappe Stunde später darf Vasile wieder gehen, nachdem er zwei ihm vorgelegte Dokumente unterschreiben musste. Er wollte nichts unterschreiben, er wollte jemanden anrufen. „I want to call someone!“ hat Vasile gesagt, doch die Beamten wollen zuerst die Unterschrift sehen. Vasile spricht gut Englisch, einer der beiden Beamten übersetzt für seine Kollegin, die kein Englisch spricht. Er kommt wieder in die Zelle, wenn er nicht unterschreibt, drohen die Beamten. Vasile unterschreibt und kann gehen. Was er unterschrieben hat, weiss Vasile nicht. Er kann nicht Deutsch und der Beamte der übersetzt hat, droht ihm mit der Zelle, wenn er nicht unterschreibe. Er unterschreibt zwei Papiere „Aufforderung zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe“. Es bestünde „Grund zur Annahme …, dass die Geldstrafe uneinbringlich ist“. Innerhalb von 3 Tagen soll er nun € 500.- Strafe zahlen – wegen „aggressiven Bettelns“ und wegen „Behinderung des Fussgängerverkehrs durch den Verkauf von Druckschriften“. Zahlt er nicht drohen ihm fünf Tage Haft. Vasile will nicht ins Gefängnis.
Vasile versteht die Welt nicht mehr. Er ist stets freundlich, zurückhaltend und höflich. Wenn man ihn anspricht, lächelt er und antwortet schüchtern auf Englisch. Das Personal bei Billa kennt ihn. Fast täglich versorgen sie ihn mit Getränken und Kleinigkeiten zu essen. Wenn ein Schlüssel zu übergeben ist, nimmt ihn Vasile hilfsbereit entgegen und übergibt ihn verlässlich dem Abholer. 2011 findet er ein Handy und gibt es bei Billa ab. Er ist vertrauensvoll und zuverlässig. Die BewohnerInnen der Umgebung kennt ihn und schätzen ihn. Viele reden mit Vasile und unterstützen ihn mit kleinen Zuwendungen. Als wir ihn vor ein paar Wochen während der Kälteperiode bei minus 15 Grad vor dem Billa stehen sehen, wollen wir ihn auf ein Frühstück in die Wohnung einladen. Er hat höflich abgelehnt. Er müsse Zeitungen verkaufen. Die zunehmenden Kontrollen durch die Polizei sind auch uns nicht entgangen. Ob er Probleme habe? Er wisse nicht genau. Ich gebe ihm zur Sicherheit meine Telefonnummer. Am 1. März hat er angerufen. Er kam gerade aus der Zelle, verzweifelt auf der Suche nach Geld um die absurd hohe Strafe bezahlen zu können. Geld, das Vasile auf legalem Weg kaum zusammenbetteln kann.
Vasile verkauft die Zeitschrift „Global Player“.
Was mich interessieren würde, ist, wie weit hier der Wunsch der Bezirksvorsteherin dahintersteht. Ich habe nämlich vor einiger Zeit gehört, die Gegend um den Mathias Hauerplatz solle von „Bettlern“ und Zeitungskolporteuren freigemacht werden. Kann das von irgendjemand abgeklärt werden? Gegen den Strafbescheid hätte ich berufen, weil er eben Zeitungen verkauft und nicht bettelt (und offensichtlich schon gar nicht aggressiv). Außerdem darf er als Rumäne Zeitungen auf der Straße verkaufen. Dies da er als Selbständiger gilt (kein Witz, das ist die „lex mediaprint“) und Unionsbürger ist.