Nochmals wählen

Als Gerhart Holzinger am Freitag um 12h das Urteil des Verfassungsgerichtshofes bekanntgab, saß ich gerade in der Nationalbibliothek und recherchierte zur österreichischen Geschichte der 1. Republik. Obwohl sich die Anzeichen im Vorfeld schon verdichtet hatten, dass der VfGH die Wahl aufheben könnte, konnte ich das Urteil zunächst nicht fassen. Also gehen wir nochmals wählen. Ich wähle ja gerne. Ich habe noch keine Wahl versäumt und werde auch bei den nächsten Wahlen von meinem demokratischen Recht Gebrauch machen. Leute wie ich werden die neuerliche Wahl zum Bundespräsidenten aber nicht entscheiden. Leute wie ich gehen wählen, bei jedem Wetter und egal ob uns das Plakat des Kandidaten gefällt oder nicht. Leute wie ich werden ihre Meinung auch im dritten Wahlgang nicht ändern. Entscheiden werden diese Wahl all jene, die jetzt den Hut drauf hauen, all jene die sonst nicht zur Wahl gehen und sich diesmal – von wem und warum auch immer – mobilisieren lassen.

Der VfGH begründet seinen Urteilsspruch u.A. damit, dass das Vertrauen in die Demokratie wieder hergestellt werden müsse. Bei mir bewirkt der Spruch eher das Gegenteil, eher Verunsicherung. Ich war bei den letzten Wahlgängen selbst als Beisitzer dabei. Es war nach dem ersten Wahlgang, als ich mit einem gewissen Stolz über den administrativen Wahlvorgang meinen Sprengel in der Josefstadt verlassen habe. Ich dachte mir, wow, bei uns in Österreich funktioniert das wirklich tadellos. Ohne irgendeine Möglichkeit zur Manipulation, alles überkorrekt, fast schon penibel. Beim geringsten Zweifel wurde seitens des Wahlleiters sofort informiert und Konsens hergestellt. Es war beeindruckend. Ich hätte auf mein Recht auch verzichten können, bei der Auszählung anwesend zu sein, so wie das die Beisitzerin der FPÖ in unserem Sprengel getan hat. Ich hätte die Auszählung – im vollen Vertrauen an unsere Demokratie – den BeamtInnen und den anderen BeisitzerInnen überlassen können. Wer freiwillig auf die Teilnahme bei der Auszählung verzichtet, beweist doch dadurch gerade sein Vertrauen in die Demokratie. Wir wiederholen also die Wahl unter anderem, weil einige zu viel Vertrauen in diese Demokratie hatten. Ein Zuviel an Vertrauen aufgrund dessen es theoretisch möglich gewesen wäre, dass Manipulationen nicht auszuschließen sind. Ob das Vertrauen in die Demokratie steigt, wenn sie für Behördenschlampereien herhalten muss, wage ich zu bezweifeln.

Kelsen

Hans Kelsen, Mitverfasser der Bundesverfassung von 1920. Begründer der Reinen Rechtslehre. Gedenktafel in der Wickenburggasse 23, Josefstadt.

Jetzt wählen wir also nochmals. Dabei hat es nicht den geringsten Verdacht auf Manipulation des Wahlergebnisses gegeben. Wir wählen nochmals, weil der österreichische Schlendrian, in dem es als Kavaliersdelikt gilt, Gesetze zu brechen, dem VfGH offensichtlich keine andere Möglichkeit gelassen hat, als die Wahl aufzuheben. Wir wählen nochmals, weil der Ausgang der Stichwahl so knapp war, dass sich die FPÖ durch ihre Wahlanfechtung die Chance nicht entgehen lassen will, durch eine Wahlwiederholung das Ergebnis zu verändern. Ärgern sich jetzt Irmgard Griess, Rudolf Hundstorfer, Andreas Khol oder Richard Lugner, dass nicht sie auf diese Idee gekommen sind? Das Urteil des VfGH hätte auch nach Beeinspruchung des ersten Wahlganges wohl kein anderes sein können. Der Anwalt der FPÖ, Dr. Dieter Böhmdorfer war unter blauschwarz von 2000 bis 2004 Justizminister, sein Gegenüber im Innenministerium war damals Ernst Strasser. Goldene Zeiten für jene, die jetzt wieder an die Macht streben. In seiner vierjährigen Amtszeit gab es nicht weniger als sieben Misstrauensanträge gegen den Justizminister, Vertrauensmann, Anwalt und Freund von Jörg Haider.

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Bezirkshauptmann Dr. Bernd Riepan (Mitte) bei seiner Ernennung durch LH Gerhard Dörfler. Rechts ÖVP Landesrat Achill Rumpold.

Vier Kärntner Gemeinden wurden vom Innenministerium wegen des Nichteinhaltens von Gesetzen angezeigt: Villach, Villach Land, Wolfsberg und Hermagor. Der Bezirkshauptmann von Villach-Land, Dr. Bernd Riepan reagierte mit völligem Unverständnis auf die Vorwürfe: Man habe wie bei früheren Wahlen schon am Sonntagabend mit der Auszählung der Briefwahlstimmen begonnen. Es habe sogar einen einhelligen Beschluss der Bezirkswahlbehörde gegeben. Auch Hermagors Bezirkshauptmann Heinz Pansi kann die Vorwürfe „überhaupt nicht nachvollziehen“. Die Auszählung der Briefwahlstimmen sei so abgelaufen, wie üblich. Was üblich ist, muss nicht unbedingt gesetzmäßig sein.

Warum überrascht mich das jetzt nicht? Jahrelang hat Jörg Haider seine eigenen Regeln propagiert (Ortstafeln), den Rechtsstaat diskreditiert, das Verfassungsgericht verhöhnt und seinen „Freistaat Kärnten“ Kurs kultiviert. Dass jetzt ausgerechnet das Verhalten jener, die unter Landeshauptmann Jörg Haider (oder seinem Nachfolger Gerhard Dörfler) im Kärntner Beamtenapparat Karriere gemacht haben, die Begründungsursache für die Wahlwiederholung durch den VfGH liefern, entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Aber das ist ein altes FPÖ-Rezept: man präsentiert sich als Lösung jener Probleme, die man selbst mitverursacht hat. Oder wie es ein Journalist formulierte: man zündet das Haus an und lobt dann die Feuerwehr.

Von einem „folgenschweren“ Urteil durch den VfGH, von einem „folgenreichen“ Tag ist jetzt oft die Rede. Wie folgenschwer das Urteil des VfGH ist, wird wohl erst die Zukunft weisen. Falls Norbert Hofer die rund € 10 Millionen teure Wahlwiederholung gewinnen sollte – möglicherweise mit weniger Stimmen als Van der Bellen am 22. Mai erhalten hatte – was dann? Ein hoher Preis, den wir für die vermeintliche Stärkung des Vertrauens in unseren Rechtsstaat und in unsere Demokratie möglicherweise bezahlen müssen.

Dann ist die Frage, ob sich Gerhart Holzingers Worte nicht als großer historischer Irrtum erweisen werden: „Die Entscheidung macht niemandem zum Verlierer und niemanden zum Gewinner. Sie soll alleine einem Ziel dienen, das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und damit in unsere Demokratie zu stärken. “

 

Artikel im Tagesanzeiger: Ein Sieg der Demokratie sieht anders aus

Blog von Eric Frey im Standard: Kein Applaus für die Verfassungsrichter

 

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