Lange Gasse – die unendliche Geschichte
Am 16. März 2011 – es ist die zweite Sitzung der Bezirksvertretung Josefstadt nach den Wahlen im Oktober 2010 – stellen die Grünen gemeinsam mit der SPÖ unter dem Titel „Josefstädter Sommer 2011“ einen Antrag die Lange Gasse an den Samstagen im Sommer für den Autoverkehr zu sperren. Im Begründungstext des Antrags heißt es: „Mit dieser temporären Straßensperre wird das Ziel verfolgt, die Sichtweise auf den öffentlichen Raum in der Josefstadt zu erweitern. Straßenräume sollen nicht nur dem KFZ-Verkehr mit Fußgängerführung am Rand zur Verfügung stehen, sondern einladen, die Straßen einmal anders zu nutzen. Wenn die Autos aus den Straßenabschnitten entfernt sind, wird sich zeigen, wie viel öffentlicher Raum eigentlich in der Josefstadt vorhanden ist.“ Vielleicht hätte uns die Tatsache, dass die ÖVP geschlossen gegen diese Bespielung des öffentlichen Raums durch die Lokale Agenda 21 gestimmt hat, schon damals mehr zu denken geben sollen. Ausgestattet mit guten Argumenten, tatkräftiger Unterstützung durch engagierte AnrainerInnen und einer gesunden Portion Optimismus waren wir offensichtlich der Meinung, mit der Zeit würde sich die Skepsis der ÖVP zerstreuen lassen.
Im Frühling 2011 wird bekannt, dass die Lange Gasse zwischen Josefstädterstraße und Hugo-Bettauer-Platz saniert werden soll. Der Asphalt in der viel befahrenen Straße ist an vielen Stellen aufgebrochen und Frostschäden würden – so die Darstellung der zuständigen Magistratsabteilung „Straßen Wien“ – diese Oberflächensanierung nötig machen. Veranschlagte Kosten: € 120,000.-
Engagierte Bürgerinnen und Bürger erwirkten, dass sich selbst die Bezirksvorsteherin für einen Aufschub der teuren Sanierungsmaßnahmen einsetzt. Das Argument, man könne die notwendige Straßensanierung doch gleich für eine Umgestaltung nutzen, überzeugte alle Beteiligten. Voller Engagement und Motivation werden Ideen für eine Gestaltung des Straßenabschnitts zwischen Josefstädterstraße und Hugo-Bettauer-Platz erstellt: Wohnstraße – Fußgängerzone – Verkehrsberuhigung – mehr Platz für Menschen, etc. Am 10. Oktober 2011 findet im Bezirksmuseum Josefstadt eine BürgerInnenversammlung statt, bei der die Ideen vorgestellt und gesammelt werden.
Unter dem Titel „Lange Gasse – erste Etappe“ wird am 14. März 2012 ein Antrag von ÖVP und SPÖ mehrheitlich beschlossen, der eine niveaugleiche Neugestaltung des Fahrbahnbelags und die Pflanzung von 3 Bäumen vorsieht. Den Grünen war dieser Antrag nicht weitreichend genug. Auch die Agenda Gruppe „Lebensraum Lange Gasse“ formuliert eine kritische Stellungnahme. Am 21. Mai 2012 informiert die MA28 „Straßen Wien“, dass bei einer Umgestaltung die neuen Richtlinien für Querschnitte im Straßenraum anzuwenden sind, wodurch „eine Parkspur entfallen“ würde. Es geht um ca. 15 Stellplätze. ÖVP und SPÖ erstarren zur Salzsäule ob des Gedankens, Stellplätze zu verlieren, dabei hatten sich zunächst noch alle so gefreut und waren voll Zuversicht: „Es ist wichtig, jetzt die ersten Schritte zu setzen und ich freue mich darauf, mit den Anrainern gemeinsam, das Gesamtkonzept bis 2014 zu verwirklichen“ meinte damals Bezirksvorsteherin Mickel in einer gemeinsamen Presseaussendung von ÖVP und SPÖ.
Eine Bezirksvertretungssitzung später beschließen die Fraktionen am 20. Juni 2012 den gemeinsamen Antrag „Lange Gasse – zweite Etappe“. Die Fahrspur in der Lange Gasse zwischen Josefstädterstraße und Hugo-Bettauer-Platz soll auf 3,75 Meter verbreitert und von Hauskante zu Hauskante mit einem neuen Belag niveaugleich gemacht werden. Radfahren gegen die Einbahn soll in der Planung berücksichtigt werden. Vor der Lange Gasse 25 werden Baumpflanzungen geplant. Am 10. August 2012 übermittelt die MA28 eine Antwort samt Plan. Die Kosten werden – ohne Baumpflanzungen – auf € 170,000.- geschätzt. Die Verordnung einer Wohnstraße ohne begleitende Maßnahmen wird abgelehnt.
Der in der gleichen Sitzung gemeinsam eingebrachte Antrag, eine Umdrehung der Einbahnführung der Lange Gasse zwischen Laudongasse und Florianigasse zu überprüfen, wird von der MA46 am 3. September 2012 beantwortet: „Zusammenfassend wird mitgeteilt, dass eine Änderung der Einbahnführung Lange Gasse und Lammgasse grundsätzlich vorstellbar wäre. Um vorerst die hohen Kosten für einen Signalumbau zu sparen, wird vorgeschlagen, im Herbst eine Testphase (zumindest 6-monatiger Probebetrieb) zu verordnen, um die Auswirkungen der Verkehrsmaßnahmen, insbesondere für die Wiener Linien, beurteilen zu können.“
In der Bezirksvertretungssitzung am 13. März 2013 – fast auf den Tag genau 2 Jahr nach dem ersten Antrag „Josefstädter Sommer 2011“ – bekennen sich die Fraktionen in einem Resolutionsantrag zur „zeitnahen Umsetzung eines sechsmonatigen Probebetriebs einer Einbahnumdrehung der Lange Gasse zwischen Laudongasse und Florianigasse“. Es wird beschlossen, am 9. April 2013 eine BürgerInnenversammlung abzuhalten. Bei dieser Versammlung sollen Umgestaltungsvarianten und der Probebetrieb der Einbahnführung vorgestellt und die BürgerInnen über die geplante Befragung informiert werden. Passieren tut von alledem nichts. Keine Einladung zu einer BürgerInnenversammlung, keine Informationen an die BürgerInnen, kein Probebetrieb, nichts. Die ÖVP hat mittlerweile auch Besseres zu tun: sie beschäftigt sich mit der Umgestaltung der Albertgasse. Das Bürgerforum „PRO Josefstadt“ sieht – nach erfolglosen 10 Jahren – endlich seine Chance gekommen, sich in der „AlbertPROmenade“ das langersehnte Denkmal in Beton zu setzen. Rund € 200,000.- werden in den Umbau der Albertgasse investiert, den ÖVP und SPÖ – gegen den heftigen Widerstand der Grünen – gemeinsam beschließen. Die Einwände der betroffenen BürgerInnen, die am 27. Februar 2013 zu einem Informationsabend ins Hotel Korotan geladen werden, werden ignoriert. Eine Befragung – für die ÖVP in der Lange Gasse zwingend erforderlich – findet hier nicht statt. Das Ergebnis der Umgestaltung Albertgasse: die Gehsteige sind schmäler als zuvor, die Bäume stehen in der Gehachse, der Schanigarten des Restaurants „Lin“ ist zerstört. Viel Geld für wenig Nutzen. Das Projekt Lange Gasse hingegen wird auf die lange Bank geschoben, in unzähligen Kommissionen und endlosen Sitzungen zerredet. Der gemeinsam vereinbarte Termin für den Beginn des Probebetriebs am 1. Juni 2013 verstreicht ereignislos.
Am 26. Juni 2013 erscheint in der Bezirkszeitung die Schlagzeile „Lammgasse: Jetzt droht Blechlawine.“ Widerstand gegen die Maßnahme formiert sich, oder wird er formiert? Zum Sprachrohr der GegnerInnen wird Gabriela Breisach. Breisach war 2001 Kandidatin der ÖVP Josefstadt für die Bezirksvertretungswahl und Präsidentin des ÖVP nahen Kulturvereins Rofrano. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aus Ignoranz und Verzögerung wird bei der ÖVP nun Widerstand und Ablehnung gegen das Projekt: Die Zustimmung scheint aber auch in der Bezirksvorstehung zu bröckeln. Veronika Mickel (ÖVP) erklärt: „Wir haben das Projekt lange begleitet. Nach diversen Besprechungen mit den Dienststellen höre ich aber viel Kritik heraus. Die Stimmung wird zunehmend kritischer.“ (BZ 26.6.2013, S. 16f.)
Frau hört hier wohl, was Frau hören will. Im nächsten Schritt versucht die ÖVP den ungeliebten Probebetrieb der Einbahnumdrehung durch die Hintertüre zu entsorgen: am 17. Oktober 2013 treffen sich die Fraktionen in einer inoffiziellen Gesprächsrunde im Büro der Bezirksvorsteherin. Wohnstraße und Begegnungszone sollen (nochmals) überprüft werden. Wahrscheinlich kann sich niemand mehr an die Antwort der zuständigen Magistratsabteilung vom 10. August 2012 erinnern, die zur Wohnstraße bereits ein Jahr zuvor folgendes festgehalten hat: „Die Verordnung einer Wohnstraße im angegeben Abschnitt als alleinige Maßnahme wird von Seiten der MA 46 nicht befürwortet. Die Adaptierung der Verkehrssituation wäre im Zusammenhang mit der Einbahnumdrehung in der Lange Gasse von Laudongasse bis Florianigasse zu bewerten.“
Bezüglich des Probebetriebs einigen sich die Fraktionen nach einigem Hin und Her auf den Kompromisstext: „Der geplante Probebetrieb der Einbahnumdrehung in der Lange Gasse zwischen Laudongasse und Florianigasse wird bis auf weiteres zurückgestellt.“ Bereits einen Tag später erhalte ich die ersten Anrufe, ob es denn stimme, dass der Probebetrieb der Einbahn nunmehr „vom Tisch“ sei. Mit Verweis auf die schriftliche Gesprächsnotiz halte ich fest, dass die Einbahnumdrehung keineswegs vom Tisch sei, sondern lediglich das Augenmerk wieder auf die Umgestaltung des Straßenabschnitts zwischen Josefstädterstraße und Hugo-Bettauer-Platz gelenkt werden soll. Jedoch scheint der ÖVP alles willkommen, was die Umgestaltung dieses Abschnitts weiter verzögert. Magistratsabteilungen und Audit-Kommission müssen als Ausrede für die Unfähigkeit herhalten, eine politische Entscheidung zu treffen. Am 19. Februar 2014 erscheint unter dem Titel „Neue Einbahn vom Tisch“ ein Artikel in der BZ: „Alle Fraktionen sind zu dem Schluss gekommen dass das (Anm.: die Einbahnumdrehung) keine Priorität mehr hat.“ erklärt Bezirkschefin Veronika Mickel-Göttfert (ÖVP).
Damit ist wohl endgültig klar: so lange die ÖVP die Bezirksvorsteherin stellt, wird sich bei der Umgestaltung der Lange Gasse gar nichts bewegen! Im Herbst 2015 – wenn nicht schon früher – wird es die Gelegenheit geben, diese gestaltungslose Blockadepolitik abzuwählen! Der Verlauf des ganzen Projektes verleitet schon sehr, auch weniger höfliche Worte zu finden. Das ist aber gar nicht notwendig, es reicht schon, zu zitieren. Die ehemalige Frankfurter CDU Bürgermeisterin Petra Rot bezeichnete die Verkehrspolitik ihrer österreichischen Schwesterpartei in Wien schlicht als „Kasperltheater“. Höchste Zeit, dieses zu beenden.